Lichtinstallation

Hermann Kleinknecht
Lichtinstallation
Forschungsneutronenquelle Garching FRM-II
Technische Universität München


Die Lichtinstallation von Hermann Kleinknecht für das Gelände der Hochflussneutronenquelle FRM-II der Technischen Universität München

Nächtlicher Landeanflug eines Flugzeugs auf einem internationalen Flughafen: Unzählige Positionsleuchten, manche in großen Abständen, manche zu Linien verdichtet, weisen den ankommenden Maschinen ihren Weg, führen sie sicher ans jeweilige Ziel ihrer Bestimmung. Ein ähnliches Bild erschafft der Bildhauer Hermann Kleinknecht, wenn er das gesamte Gelände des Forschungsreaktors in München-Garching mit einer Lichtarbeit versieht, die bei Dämmerung und Dunkelheit am deutlichsten wahrnehmbar ist. Kleinknecht setzt Markierungspunkte, zeichnet Felder nach, überlagert das architektonische und technologische Gefüge mit einer zweiten, abstrakten Ebene aus farbigem Licht.

Anders als auf einem Flughafen allerdings, wo sämtliche Lichtpunkte Teil einer (für Experten verständlichen) Übereinkunft und klaren Funktionalität unterworfen sind, ist die von Hermann Kleinknecht erdachte Licht-Topografie rein ästhetischer Natur und folgt einer eigenen Gesetzlichkeit. Sein künstlerisches ‚System' besteht aus insgesamt drei unterschiedlichen Elementen. Von außen am auffälligsten erkennbar sind die kleinen roten Lampenwürfel auf den hohen Pfählen des die Anlage begrenzenden Stahlzauns. Sodann eskortieren schlanke Stelen, die aus langen Schlitzen blaues Licht abstrahlen, die breite Einfahrtstraße zum neuen Reaktorgebäude. Am Ende dieser Straße schließlich leuchtet einem schon von weitem das dritte Element der Installation entgegen: ein transparenter Kubus, in dessen Innerem leuchtende Stäbe montiert sind. Fünf blaue und sechs türkisfarbene Glasröhren sind dort dergestalt angeordnet, dass das Umrunden des Körpers jeweils neue und überraschende Perspektiven ergibt. Wie bereits die Lichtinstallation als Ganzes ein Netz topografischer Bezüge auf dem Reaktorgelände herstellt, bildet auch dieses Teilelement der Arbeit dieselbe Vielfalt im Kleinen. Der Kubus, vom Künstler als "Aggregat" bezeichnet, veranschaulicht und steht für ein System im System. Wichtig zu wissen ist dabei die Tatsache, dass die Leuchtstoffröhren nach dem Prinzip des Zufalls angeordnet sind.

Hermann Kleinknechts Lichtinstallation umgrenzt eine wissenschaftliche Forschungsanlage. Zunächst wirkt es so, als wolle sie auf die Bedeutung des Kernreaktors und der zugehörigen Gebäudekomplexe aufmerksam machen, Respekt gebieten und Abstand einfordern. Doch wie schon gesagt, ordnet sich ihre Form nur vordergründig unter. Auch ist ihre Existenz und Positionierung keiner rechtlichen Vorschrift geschuldet, sondern beruft sich ausschließlich auf künstlerische Kategorien, die wiederum eine emotionale Lesart der Anlage als Organismus erlauben. Mit dieser Sichtweise lässt sich auch eine Beziehung zu den Bereichen des Fiktiven herstellen, mit denen uns u. a. das Medium Film versorgt. Im Kino geht es in erster Linie um die Schaffung von Atmosphäre und Illusion. Nicht selten finden sich dort eine vernunftorientierte, kühle Wissenschaft und eine ausufernde Phantasie vereinigt.

Der glamouröse Agententhriller à la James Bond oder der Science-Fiction-Film, z. B. dessen legendärer Prototyp, "2001: A Space Odyssey" (1968) von Stanley Kubrick, enthält explizit beide Bereiche: das Mögliche und das Unmögliche, das Wahrscheinliche und das Unwahrscheinliche, das Berechenbare und das Absurde.

Warum aber gibt es auf dem Gelände eines Forschungsreaktors Kunst? Ist an diesem Ort überhaupt Platz für die Kunst? Auch wer diese Frage zunächst negativ beantworten mag, muss zugestehen, dass dieser Ort einen Raum definiert, an dem das Emotionale und Subjektive ebenso zuhause sind wie das Rationale und Objektive. Denn jede wissenschaftliche Leistung, so außergewöhnlich und nutzbringend sie sein mag, steht am Ende eines langen Prozesses, der auch die Skepsis beinhaltet, den Zweifel am Gelingen, das beständige Nachdenken über den Preis des Fortschritts. Die wissenschaftliche Leistung geht einher mit dem Bewusstsein und dem Wunsch, Erkenntnis zu erlangen und diese sinnvoll einzusetzen. Wissenschaft bedeutet auch individuelles Handeln, in dem die Hoffnung auf eine neue Entdeckung, Erregung und Glücksgefühle, aber auch Erfolgsdruck oder die Enttäuschung über ein fehlgeschlagenes Experiment zum Alltag gehören. Der Wissenschaftler - ob Physiker, Biologe, Chemiker - ist glücklicherweise kein Maschinenprodukt, wie auch der Künstler kein abgehobenes, weltfremdes Geschöpf ist. Der Mensch lässt sich nicht auseinanderdividieren in ein absolut handelndes Vernunftwesen und ein manipulierbares Gefühlswesen. Beide Bereiche machen ihn gleichermaßen aus und beeinflussen ihn. Und so geht es letztlich auch in Hermann Kleinknechts Lichtinstallation um die Zusammenführung zweier, zu Unrecht als gegensätzlich empfundener Bereiche: die Kongruenz von wissenschaftlichem und künstlerischem Prinzip.

In größerem Zusammenhang betrachtet heißt dies, Verantwortung zu empfinden - des Menschen gegenüber der Natur, der Menschen untereinander, des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft.

Bernhart Schwenk